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Der Kelsterbacher Stadtarchivar Hartmut Blaum hat im Rahmen der Gedenkveranstaltung des DGB Kelsterbach zum Antikriegstag einen Vortrag über die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am Beispiel Kelsterbachs gehalten. Einigen Raum seines Vortrags widmete er der Beschreibung der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in den Jahren vor 1933. Ein beredtes Zeugnis darüber geben die Eintragungen in der Chronik der St.-Martins-Gemeinde. Als Folge der Weltwirtschaftskrise herrschte hohe Arbeitslosigkeit in der Arbeiterschaft – insbesondere die Glanzstoffwerke mussten den Großteil ihrer Beschäftigten entlassen und zeitweise sogar den Betrieb ganz stilllegen – und auch die Handwerker und sonstige Geschäftsleute litten unter ausbleibenden Aufträgen oder Zahlungen. Blaum hat hochgerechnet, dass etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung Deutschlands von den Folgen der Erwerbslosigkeit betroffen, das heißt, in Existenznot geraten war. Diese Menschen waren auf staatliche Unterstützung angewiesen und wussten nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt anderweitig bestreiten sollten. Die Gemeinde Kelsterbach versuchte zu helfen, wo sie konnte, doch waren die Mittel begrenzt und die Gemeindeverwaltung überdies gehalten, die staatlich verordneten Kürzungen der Unterstützungssätze umzusetzen.
Aus den häufigen Wahlen dieser Jahre ging in Kelsterbach die KPD kontinuierlich als stärkste Partei hervor, gefolgt von der SPD und der NSdAP. So erhielten die Kommunisten in der Reichstagswahl im Juli 1932 in Kelsterbach 1.108 Stimmen, die Sozialdemokraten 960, die Nazis 731 und das Zentrum 202. Die Kelsterbacher wählten also gegen den Trend im Deutschen Reich, der die Nazipartei zur deutlich stärksten politischen Kraft machte. „Kelsterbach war und sollte nie ein leichtes Pflaster für die NSdAP sein“, folgerte Blaum aus der Tatsache, dass die linken Parteien zusammengenommen beständig eine Mehrheit bildeten. Allerdings hatte auch die parlamentarische Demokratie in Kelsterbach keinen leichten Stand, waren doch ihre Gegner – KPD und NSdAP – zusammengerechnet ebenfalls in der Mehrheit. „Ohne zu überlegen, jubelt man denen, die das Maul am weitesten aufreißen, begeistert zu“, beschreibt es die Pfarrchronik. Der NS-Machtübernahme den Boden bereitet hat wohl auch das Unvermögen der diversen Regierungen, die massiven Probleme wirksam in den Griff zu bekommen. „Man wählt und wählt, ohne dass sich eine grundlegende Änderung vollzieht“, schrieb der Pfarrer resignierend.
Als am 30. Januar 1933 schließlich Reichspräsident Hindenburg den Nazis die Macht antrug, indem er Hitler zum Reichskanzler ernannte, begannen diese unmittelbar damit, die demokratischen Strukturen und Rechte zu beseitigen und ihre totalitäre Herrschaft zu errichten. Blaum führte in seinem Vortrag einige der grundlegenden Gesetze auf, mit denen die Nazis ihren Weg zur unumschränkten Macht ebneten. Mit das wichtigste Gesetz war zweifellos das Ermächtigungsgesetz, das die Gewaltenteilung in Deutschland beseitigte und die Reichsregierung von jedweder Kontrolle ausnahm. Bedeutsam für die Durchsetzung der NS-Herrschaft war auch die Entscheidung, die Schlägertruppen der NSdAP – die SA – in den Rang einer Hilfspolizei zu erheben. Diesen Status wussten die vergleichsweise wenigen Nazis in Kelsterbach zu nutzen, indem sie politische Gegner, hautsächlich KPD-Leute, gezielt verprügelten und terrorisierten.
Handfeste Gewalt zur Unterdrückung der Gegner war einer der Gründe, weshalb es den Nazis binnen weniger Monate gelingen sollte, das gesamte gesellschaftliche Leben zu durchdringen und nach ihren Vorstellungen umzuformen. „Viele Menschen haben stillgehalten, weil die Zeiten vorher wirtschaftlich und sozial ziemlich übel waren“, vermutet Blaum als Grund, wieso die nationalsozialistische Machtübernahme in Deutschland so schnell und umfassend ins Werk gesetzt werden konnte. Hoffnung auf bessere Zeiten, schlichte Ignoranz oder auch Resignation könnten nach Ansicht des Stadtarchivars weitere Gründe sein, wieso ein breitangelegter Widerstand ausblieb.
Die politischen Ämter und Gremien der Gemeinde Kelsterbach wurden selbstverständlich mit Nationalsozialisten besetzt. Die Entscheidungen der Gemeindepolitik fielen nach Aussage Blaums allerdings nicht mehr im Rathaus, sondern in der Ortsgruppe der NSdAP. Die Nazipartei etablierte in Kelsterbach zwar sämtliche ihrer Organisationen, aber in der Partei selbst war nur eine unterdurchschnittliche Anzahl an Kelsterbachern Mitglied: 408 Personen – darunter nur 13 Frauen – gehörten 1939, vor Beginn des zweiten Weltkriegs, der Nazipartei an. Diese waren in der Regel verhältnismäßig jung und zudem bunt gemischt, was die Berufstätigkeit, den Familienstand oder die Religionszugehörigkeit angeht.
Bürgermeister Manfred Ockel dankte Blaum für die Aufarbeitung der Kelsterbacher NS-Geschichte, dies sei unbedingt notwendig gewesen. Mit Blick auf die historischen Ereignisse gelte es heute, ganz entschieden gemeinsam zu kämpfen und zusammenzustehen, um bei Wahlen eine große demokratische Mehrheit darzustellen. Stadtverordnetenvorsteher Frank Wiegand sagte, die Demokraten seien vielleicht in den Farben getrennt, aber in der Sache vereint. Gegen Populismus – insbesondere rechten – müssten sie wehrhaft zusammenstehen. Die Landtagsabgeordnete Kerstin Geis mahnte, angesichts eines nicht geringen Anteils demokratiefeindlicher Einstellungen in der Bevölkerung, wie sie die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Erhebung kürzlich festgestellt habe, gelte es, gut aufzupassen auf die Demokratie. Für den DGB Kelsterbach sprach Georg Germann dem Redner Blaum seinen Dank aus und unterstrich ebenfalls die Notwendigkeit, die Ereignisse der Geschichte als Mahnung und Lehre zu begreifen. (wö)