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Vadym Kostiuk war ein beliebtes Fotomotiv am vergangenen Montag. Nicht nur, dass er beim symbolträchtigen Zerschneiden des Bandes zur offiziellen Eröffnung des neuen Kelsterbacher Ukrainezentrums in der Waldstraße von einer Vielzahl Kameras fotografiert wurde. Nachdem er das blau-gelbe Band gemeinsamen mit Landrat Thomas Will und Bürgermeister Manfred Ockel entzweigeschnitten hatte, ward er zu etlichen Selfies mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft gebeten, die sich sichtlich stolz mit dem Generalkonsul ihres Heimatlandes ablichten ließen. Kleine Stücke des zerschnittenen Bandes stellten beliebte Andenken dar und wurden von den Ukrainerinnen und Ukrainern freudig in die Kamera gehalten.
Die Besichtigung der Flüchtlingsunterkunft im Step-Inn-Hotel war nur einer der Programmpunkte, die Generalkonsul Kostiuk bei seinem Besuch der Untermainstadt absolvierte. Zunächst empfingen Bürgermeister Manfred Ockel, Erster Stadtrat Kurt Linnert und Stadtverordnetenvorsteher Frank Wiegand den besonderen Gast im Fritz-Treutel-Haus und hießen ihn namens der Stadt Kelsterbach herzlich willkommen. Einem kurzen ersten Austausch, an dem auch die Landtagsabgeordnete Kerstin Geis sowie Michael Görbing von der Kelsterbacher Veritas Ambulanz, die sich aktiv in der Ukraine engagiert, teilnahmen, folgte der Eintrag ins Gästebuch der Stadt Kelsterbach. „Ich wünsche allen Einwohnern von Kelsterbach, dass sie nie die Schrecken des Krieges erfahren! Und das Wort „FRIEDEN“ soll immer großgeschrieben werden!“, schrieb Kostiuk ins Buch hinein.
Im Anschluss machte sich die Gruppe auf zum Gemeindehaus der Petrusgemeinde, wo für Vadym Kostiuk die Gelegenheit bestand, bei Kaffee und Kuchen das Gespräch mit in Kelsterbach untergebrachten ukrainischen Flüchtlingen zu suchen und sich über deren Befinden aus erster Hand zu informieren.
Sodann ging es wenige Meter weiter in die Waldstraße zum Step Inn, wo bereits Landrat Thomas Will zur Begrüßung des Generalkonsuls bereitstand. Der Landrat hieß Kostiuk im Kreis Groß-Gerau willkommen und versicherte ihm die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger für die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer. Will erzählte, er sei einmal vor Jahren mit dem Fahrrad auf die damals noch nicht russisch besetzte Krim gefahren und beteuerte, er hätte es sich nie vorstellen können, dass in jenen Ortschaften, die auf seinem Weg dorthin lagen, heute Bomben einschlagen und Menschen sterben.
Generalkonsul Kostiuk nutzte wiederum die Gelegenheit, mit seinen vor dem Krieg geflohenen Landsleuten zu sprechen. Außerdem unternahm er einen Rundgang durchs Gebäude, durch das ihn die beiden Pächter Ricky Mehra und Nikash Vohra führten. Im Step Inn mit seinen 40 Zimmern, die sich auf drei Etagen verteilen, sind derzeit 88 Ukrainerinnen und Ukrainer untergebracht, darunter viele Familien mit teils schwerbehinderten Kindern, die zuvor im ehemaligen Mercure-Hotel wohnten, sowie ukrainische Flüchtlinge, die aus einem anderen Kelsterbacher Hotel hierhin umgezogen sind. Der Kreis Groß-Gerau finanziert die Unterbringung der Flüchtlinge.
Die Pächter haben vor Bezug der Unterkunft durch die Geflüchteten, die dort vor einem Monat eingezogen sind, das Gebäude renoviert und für eine Grundausstattung der Zimmer gesorgt. Die zusätzlichen Möbel hat die Stadt Kelsterbach mittels Spenden akquiriert. Im Haus gibt es ein großes Spielzimmer für Kinder, außerdem auf jeder Etage eine eigene Küche. Letzteres ist sehr wichtig, denn die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung bereiten sich ihre Mahlzeiten ausschließlich selbst zu. Damit das reibungslos klappt, bedarf es eines großen Maßes an Selbstorganisation und Disziplin. Kein Problem, berichten die Pächter Mehra und Vohra erfreut.
Die städtische Sozialkoordinatorin Agneta Becker will erreichen, dass das Step Inn künftig als zentrale Anlauf-, Informations- und Beratungsstelle für in Kelsterbach untergebrachte Flüchtlinge aus der Ukraine dient. Gemeinsam mit ihrem dreiköpfigen Team und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas will sie dort Sprechstunden anbieten und für Fragen erreichbar sein, aber auch Freizeitangebote unterbreiten. Dabei geht es nicht allein um die Bewohnerinnen und Bewohner des Step Inn, sondern auch um derzeit 75 weitere ukrainische Flüchtlinge, die in der näheren Umgebung des Ukrainezentrums eine Bleibe gefunden haben.
Nach der Besichtigung der Flüchtlingsunterkunft ging es für Kostiuk und die Vertreter der Stadt Kelsterbach zurück ins Fritz-Treutel-Haus, wo zunächst ein Vertreter des städtischen Schulamtes dem Generalkonsul über die Eingliederung von ukrainischen Kindern in Kelsterbacher Kindertagesstätten und Schulen berichtete.
Am frühen Abend kam eigens die Stadtverordnetenversammlung zu einer Sondersitzung zusammen, um dem Generalkonsul die Gelegenheit zu bieten, vor dem Gremium zur Lage in der Ukraine zu sprechen. Zunächst richtete Stadtverordnetenvorsteher Frank Wiegand das Wort an die Versammelten. Er bezeichnete den Krieg in der Ukraine als einen „ungerechtfertigten Angriffskrieg von Wladimir Putin und seinen Getreuen.“ Der Krieg sei ein Angriff auf ein souveränes Land und zugleich ein Angriff auf „unsere Ideale von Frieden, Freiheit und Demokratie“, fuhr Wiegand fort. Despoten wie Putin verstünden nur eine Sprache, die der Stärke und der klaren Grenzen, ergänzte er. Die Worte „Nie wieder Krieg“ seien tief in der DNA der Deutschen verankert, doch man müsse die Realitäten anerkennen und bereit sein, die Werte von Frieden, Freiheit und Demokratie notfalls auch mit Waffen zu verteidigen. Mit Bezug auf humanitäre Hilfe sagte Wiegand, Kelsterbach sei bereit, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen, Menschen auf der Flucht fänden hier offene Türen und offene Herzen. An den Generalkonsul gerichtet, sagte er: „Nehmen Sie bitte Folgendes mit: Sie sind nicht allein, geben Sie die Hoffnung nicht auf! Wir stehen geschlossen an Ihrer Seite.“
Alsdann war es an Vadym Kostiuk, seine Sicht der aktuellen Geschehnisse darzulegen. Demnach sei es das Ziel Russlands, den Staat, die Nation und die Identität der Ukraine zu zerstören. Die Ukraine zahle derzeit einen enormen Preis für die Sicherheit der gesamten demokratischen Welt und die gemeinsamen Werte und brauche unverzüglich schwere Waffen aus dem Westen, um im Kampf gegen Russland bestehen zu können. Die russische Armee habe überall in den von ihr vorübergehend besetzten Gebieten Kriegsverbrechen begangen und versucht, diese vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen. „Diese Verbrechen könnte man als Völkermord bezeichnen“, sagte Kostiuk. Deshalb müsse ein Sondertribunal zur Aburteilung der russischen Führung eingerichtet werden, forderte er. Weiter machte Kostiuk klar, die Ukraine werde ihr Territorium nicht um des Friedens mit Russland willen opfern. Das Ziel sei vielmehr die Wiederherstellung der territorialen Integrität innerhalb der international anerkannten Grenzen. „Unser Land will Frieden – aber nicht um jeden Preis“, macht der Generalkonsul deutlich. Russland sei darüber hinaus wegen der Blockade der ukrainischen Seehäfen für die weltweite Nahrungsmittelkrise verantwortlich, eine Hungersnot drohe. Zum Abschluss seiner Ausführungen dankte Kostiuk der Stadtverordnetenversammlung und den Kelsterbacherinnen und Kelsterbachern recht herzlich, dass sie sich so stark um die Ukrainerinnen und Ukrainer vor Ort kümmerten, des Weiteren für die vielfältige humanitäre Hilfe, die den Menschen in der Ukraine zugutekomme. Diese rette in der Ukraine Leben oder trage dazu bei, dass dort das Leben ein wenig leichter werde.
Bürgermeister Manfred Ockel trat als letzter Redner der Sondersitzung ans Pult und beteuerte, es sei seit Kriegsbeginn für die Kommunen in Deutschland selbstverständlich gewesen, „den gestrandeten Menschen zügig einen sicheren Zufluchtsort und ein Stück Geborgenheit vor ihren traumatischen Erlebnissen zu geben.“ In Kelsterbach lebten zirka 200 Flüchtlinge – 70 davon in privaten Unterkünften – die von einem Team aus hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern betreut würden. „Ich bin sehr stolz darauf, dass wir in Kelsterbach ein wirklich gutes soziales Netz für alle Menschen haben, die Hilfe benötigen“, ergänzte Ockel. Unter den Flüchtlingen in Kelsterbach befänden sich 13 Kinder im Kita-Alter, 16 Grundschüler und 35 Mittelstufenkinder. „Wir haben alle Vorkehrungen getroffen, dass die Kinder und Jugendlichen nach der Sommerpause in unseren Kindertagesstätten, in den beiden Grundschulen und in der IGS mit spezieller Förderung aufgenommen werden können“, sagte er.
Der Bürgermeister nannte es eine schmerzliche Erkenntnis, den persönlichen Austausch mit den östlichen europäischen Nachbarn eher vernachlässigt zu haben. Ein intensiver Austausch wäre hingegen sehr von Vorteil gewesen. „Wir hoffen alle auf ein baldiges Ende des Krieges, und dann gilt es, dass auch wir in Deutschland aktiv helfen, den Wiederaufbau zu bewerkstelligen“, fuhr Ockel fort. In Deutschland müssten sich alle wegen des Krieges in vielerlei Hinsicht einschränken, neue Herausforderungen annehmen und mehr denn je Solidarität mit den europäischen Demokratien praktizieren.
An Generalkonsul Kostiuk gewandt, sagte Ockel abschließend: „Nehmen Sie unsere uneingeschränkte Solidarität zur Ukraine und unsere Bereitschaft, aktiv zu helfen, mit. Gemeinsam können wir zeigen, dass die Einhaltung des Völkerrechts in der Welt nicht nur ein Glaubensbekenntnis ist, sondern dass wir auch gemeinsam bereit sind, dieses Recht aktiv zu verteidigen, auch im speziellen Fall mit Waffenlieferungen und natürlich mit humanitärer Hilfe. Wir gedenken allen zivilen und militärischen Opfern dieses russischen Angriffskrieges und hoffen auf ein baldiges Ende mit dem Ziel, dass die Ukraine Ihre Souveränität in vollem Umfang erhalten kann und bald ein weiterer Mitgliedsstaat der EU werden wird.“ (wö)