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Wahrscheinlich haben die Wenigsten schon einmal eine Gottesanbeterin in freier Wildbahn gesehen. Die bis zu acht Zentimeter groß werdenden Fangschrecken sind in Deutschland nur in wenigen Regionen – in ausgesprochenen Wärmeinseln – häufiger anzutreffen, das Rhein-Main-Gebiet zählt bislang nicht dazu. Und doch sitzen Anfang der Woche zwei Exemplare der so imposanten wie seltenen Tiere auf Halmen in der hochgewachsenen Wiese am Kelsterbacher Grenzweg. Entdeckt werden sie von einer kleinen Gruppe Menschen – ein Förster, eine Landschaftspflegerin, zwei Schäfer und zwei Pressevertreter – die sich dort zum informativen Gespräch getroffen haben. Es geht um das Thema Beweidung durch Schafe und Ziegen, die jetzt statt der maschinellen Mahd an Ort und Stelle ausprobiert werden soll.
Die beiden Gottesanbeterinnen sind der lebendige Beweis für den Nutzen der umweltschonenden Methode, eine Heidelandschaft von unerwünschtem Bewuchs durch Bäume und Buschwerk freizuhalten. Denn die einhundert Schafe und zwanzig Ziegen, die ab nächster Woche hier Gras, junge Bäumchen, Brombeergestrüpp und anderes Grün vertilgen werden, geben den in der Wiese lebenden Insekten die Gelegenheit, ihnen rechtzeitig aus dem Wege zu gehen, ehe sie den Halm fressen, auf dem diese sitzen. Wenn hingegen ein Traktor zum Mulchen auf die Wiese fährt, wird alles Grün kurz und klein gehäckselt – leider auch die darin befindlichen Krabbeltierchen. Die beiden Kelsterbacher Gottesanbeterinnen haben also Glück, dieses missliche Schicksal bleibt ihnen bis auf Weiteres erspart und damit der Art „Mantis religiosa“, die in Deutschland als gefährdete Art in Kategorie drei der Roten Liste geführt wird, mindestens zwei Individuen erhalten.
Man habe schon lange nach einer alternativen Bewirtschaftungsmethode für die knapp 15 Hektar große Fläche, die als Flora-Fauna-Habitat geschützt ist, aber auch nach den Vorgaben eines Pflegeplans bewirtschaftet werden soll, gesucht, sagt Martin Klepper, der als Leiter des Kelsterbacher Kommunalbetriebs (KKB) und als Stadtwaldförster für die Pflege von Wald und Wiesen verantwortlich ist. Jetzt sollen es also die Schafe und Ziegen des Sonnenhof Rübsamen in Hofheim am Taunus richten. Die Heide- und Sandmagerrasenflächen müssen von jungen Birken, Eichen und zahlreichen Kiefern, die teils schon mannshoch gewachsen sind, sowie von Brombeersträuchern befreit werden. Das auf dieser Fläche unerwünschte Grün verschattet und verdrängt das hier wachsende Heidekraut sowie andere für diesen speziellen Lebensraum typische Gewächse, die es zu erhalten und zu pflegen gilt. „Wenn man nichts tut, ist das hier in ein paar Jahren Wald“, sagt Klepper. „Heideflächen sind Kulturlandschaften und bedürfen der Pflege des Menschen“, erläutert er.
Ab kommender Woche unterstützen also Schafe und Ziegen den Kelsterbacher Förster bei dieser Aufgabe. Sie werden nicht nur das Gras und sonstigen niederen Bewuchs abweiden, sondern sich auch an den Bäumchen gütlich tun. „Die Ziegen fressen sie von unten nach oben ab und schälen dann noch den Stamm, so dass die Bäume dann eingehen“, erläutert Schäfer Philipp Rübsamen. Dass dabei auch das Heidekraut und die anderen standorttypischen Pflanzen mit abgefressen werden, ist nicht weiter tragisch. Es tut ihnen sogar gut, denn das Runterfressen befördert die Verjüngung der Gewächse und verhindert, dass sie verholzen.
Christina Kohlbrecher vom Landschaftspflegeverband Groß-Gerau (LPV-GG), der die Stadt Kelsterbach bei der Pflege der FFH-Flächen konzeptionell und praktisch unterstützt und begleitet, fasst die Vorteile der Beweidung zusammen: Durch die tierischen „Rasenmäher“ werde die Fläche frei- und offengehalten, die Tiere sorgten darüber hinaus für einen leichten Nährstoffaustrag, der wichtig sei, damit durchsetzungsstärkere Pflanzen den heidetypischen Gewächsen nicht den Rang abliefen und sie verdrängten. Außerdem blieben – anders als beim maschinellen Mulchen – einzelne Bewuchsstrukturen stehen, die vielen Tieren Lebensräume böten. Insgesamt werde die Heterogenität des beweideten Areals erhöht.
Teurer als das Mulchen der Fläche ist der Einsatz der Paarhufer nicht. KKB-Leiter Klepper rechnet mit rund 15.000 Euro, die die Stadt an Schäfer Rübsamen für den zweimonatigen Einsatz seiner Schafe und Ziegen zahlen wird. Die Kosten halten sich in Grenzen, weil der Betreuungsaufwand überschaubar ist: Einmal am Tag schaut jemand vom Team Sonnenhof nach dem Rechten, füllt die Tränken mit frischem Wasser und kontrolliert die mobilen Elektro-Zäune, die die Tiere am Weglaufen hindern. Spaziergänger mit kleinen Kindern oder mit Hunden werden gebeten, darauf zu achten, dass diese die Zäune nicht berühren, um sich keinen schmerzhaften Stromschlag zu holen. Außerdem sollen die Tiere nicht gefüttert werden, damit sie nicht krank werden.
Martin Klepper zeigt sich froh, dass das Beweidungs-Projekt in der kommenden Woche tatsächlich starten kann. Zwei Jahre Vorbereitung habe er investiert, um das zu ermöglichen. Dabei galt es, alle Beteiligten Institutionen von der Sinnhaftigkeit und Machbarkeit zu überzeugen. Neben Stadt und LPV-GG sind das Regierungspräsidium Darmstadt als Obere Naturschutzbehörde, das Forstamt des Kreises Groß-Gerau und die Fraport AG miteinbezogen. Der Flughafenbetreiber zahlt nicht nur grundsätzlich für die Pflege der Fläche, er hat auch ein Auge auf die Sicherheit der unmittelbar benachbarten Nordwest-Landebahn hinsichtlich Vogelschlag. Diesbezüglich gebe es bei Fraport Bedenken, die Wiederkäuer könnten mittels ihrer Hinterlassenschaften Stare und Krähen anlocken, die dann wiederum ein Problem für den Flugverkehr darstellen könnten. Letzten Endes hat Fraport die Bedenken fürs Erste zurückgestellt und der praktischen Erprobung der Beweidung zugestimmt. Sollte alles wie erhofft glattlaufen, wird das Projekt im kommenden Frühjahr fortgesetzt. (wö)