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Der Schulleiter der Kelsterbacher Karl-Krolopper-Schule, Jürgen Seeberger, geht zum Monatsende in den Ruhestand. Anlässlich Seebergers Ausscheiden aus dem Dienst führte Stadtverwaltungsmitarbeiter Andreas Wörner mit ihm ein Interview.
Herr Seeberger, Sie haben die Karl-Krolopper-Schule 14 Jahre lang geleitet, wie hat sich die Schule in dieser Zeit entwickelt, was waren die bedeutendsten Veränderungen?
Als ich 2008 hier anfing, war das eine kleine Förderschule mit elf Kollegen, davon zwei Stellen in der Beratung, das heißt Unterstützung der allgemeinen Schule. Das ist eine ganz entscheidende oder bedeutsame Veränderung, dass wir jetzt ein System sind, in dem im Förderschulbereich immer noch zehn, zwölf Kollegen arbeiten, und die restlichen 18 Kollegen arbeiten in der Inklusion. Als ich hier anfing, hatte die Schule zuvor einen Antrag gestellt, dass hier die Berufsorientierung in besonderer Art und Weise eine Rolle spielen sollte. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir eine Schule sind, die eine Anschlussperspektive als genauso wichtig ansieht wie den Schulabschluss. Wir haben im Leitbild formuliert: Keiner verlässt die Schule ohne Anschlussperspektive. Wir haben uns vier Mal beworben für das Gütesiegel für vorbildliche Berufsorientierung und sind vier Mal mit hervorragenden Rückmeldungen zertifiziert worden. Wir haben hier gute Erfolge, obwohl die Schüler von Anfang an gar nicht diese Voraussetzungen mitbringen, die zweifeln an sich, sie haben das Gefühl, sie sind keine guten Schüler, fragen sich, was sie eigentlich noch machen sollen. Das war unser Hauptthema hier, und das würde ich auch als meine Kernarbeit ansehen. Und ich freue mich, dass wir so weit gekommen sind.
Die Karl-Krolopper-Schule ist eine Förderschule für Lernhilfe. Was ist darunter zu verstehen und wie werden lernschwache Kinder konkret gefördert?
Lernhilfe bedeutet, dass man mit Schülern arbeitet, die an der Regelschule keine Perspektive mehr haben, das Ziel der Schule zu erreichen. Die Leistungen sind zu schlecht, die Bereitschaft, sich auf schulische Anforderungen einzulassen, ist zu gering. Es gibt Schüler, die schulmüde werden, frustriert, und durchs Raster fallen. Der Förderschwerpunkt Lernen ermöglicht es, nicht die allgemeinen Anforderungen zu stellen, die die Schüler an einer Regelschule haben, sondern zu schauen, wie kann man es besser individualisieren. Also, was kann der Schüler trotzdem gut, und wo muss er noch aufholen. Und das können wir in der Schule für Lernhilfe sehr gut, weil die Klassen wesentlich kleiner sind und mehr Personaleinsatz möglich ist. Wir haben Klassengrößen von höchstens 15 und häufig auch zwei Lehrkräfte, die im Team zusammen in so einer Klasse arbeiten, die können die Schüler individuell sehr gut unterstützen. Wir arbeiten sehr viel mit Lernberatung und Coaching. Es gibt regelmäßige diagnostische Verfahren, mit denen wir schauen, wo steht der Schüler in Bezug auf bestimmte Inhalte. Dann wird aus diesen Ergebnissen heraus ein Gespräch geplant, wo man sich mit Eltern und dem Schüler zusammensetzt, eine Rückmeldung gibt, was er erreicht hat und was die nächsten Schritte sind. Und die formuliert der Schüler auch bestenfalls selbst. Das ist dann ein individuelles Ziel, was in einem Förderplan festgehalten und einmal in der Woche von den Lehrkräften mit dem Schüler reflektiert wird. Zusätzlich zu den Arbeiten und Noten, die er erhält, gibt es viele Gespräche, der Schüler bekommt in kurzen Abständen Rückmeldungen. Und es gehört auch zu unserer Methodik, die Eltern mit ins Boot zu bekommen und sie an den Fortschritten zu beteiligen, die dann die Kinder machen können. Ich glaube, das ist das Entscheidende.
Hat es im Laufe der Zeit Verschiebungen bei den unterschiedlichen Förderbedarfen gegeben?
Ja. Offiziell sind wir noch immer eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernhilfe, aber faktisch gesehen kommen zu uns Schüler, die in dem System der allgemeinen Schule trotz Inklusion nicht zurechtkommen. Und das sind auch Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, das geht bis zu ernsthaften Störungsbildern in Richtung psychische Erkrankung. Es gibt jetzt – Corona hat das auch nochmal verstärkt – mehr Jugendliche, die in einer Depressionsschleife hängen. Es gibt Kinder mit erheblichen sprachlichen Problematiken, die über die Modelle und die Möglichkeiten der allgemeinen Schule trotz Unterstützung nicht gut aufgefangen werden können. Praktisch sind wir eine Schule für Kinder und Jugendliche, die woanders, in einem anderen System, nicht mehr klarkommen und die eine spezielle Pädagogik brauchen. Die finden dann hier eine Heimat.
Die Lehrkräfte der Karl-Krolopper-Schule kümmern sich derzeit um 200 Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 11, davon kommen lediglich 43 Kinder direkt in die KKS, alle anderen werden an den Regelschulen in Kelsterbach und Raunheim, die sie im Zuge der Inklusion besuchen, gefördert. Besteht die Gefahr, dass sich die KKS als eigenständiger Schulstandort letztlich selbst überflüssig macht, weil das Konzept der Inklusion so gut funktioniert?
Ich sehe das nicht so. Inklusion ist die Idee, Kinder mit Problematiken so lange in ihrem regulären schulischen Umfeld zu halten, solange es für sie einen Nutzen hat und sie vorankommen. Wenn sie in einem allgemeinen System verbleiben, ohne dass sie davon einen Nutzen haben, und im Gegenteil, wenn die Entwicklung trotz Unterstützung und trotz Hilfen in die falsche Richtung weist, dann muss man diese Kinder nicht aufgeben und einfach nur so in der allgemeinen Schule laufen lassen, sondern man muss sich überlegen, was könnten wir denn noch tun? Und da braucht man einen Standort, der mit einer anderen Pädagogik an die Thematik rangeht. Ich hatte die Berufsorientierung erwähnt, wir haben hier zum Beispiel viel mehr praxisbezogene Unterrichtsanteile. Und es gibt Schüler, die über die Praxis, über Projektarbeit wieder an Selbstbewusstsein und an Selbstvertrauen dazugewinnen und sich wieder zu „ganz normalen“ Jugendlichen entwickeln, die dann sogar mit einem Hauptschulabschluss die Schule verlassen. Wir haben im Schulverbund die klare Aussage, dass keiner möchte, dass der Standort hier aufgegeben wird. Die allgemeinen Schulen hätten große Sorge, dass sie dann mit Schülern zurechtkommen müssen, für die sie nichts mehr machen können. Das will auch kein Schulleiter oder Schulleiterin einer Grundschule oder Gesamtschule.
Welchen Herausforderungen muss sich die KKS in der näheren Zukunft stellen?
Ich denke, dass man sich mit der Thematik, wie sich die Region das schulische Angebot vorstellt, intensiver beschäftigen muss. Unter Umständen muss man die sozialen Medien stärker nutzen, um vorzustellen, was eigentlich die andere Pädagogik ausmacht, um Eltern und Familien zu überzeugen. Das Zweite ist, dass wir angefangen haben, die Schule zur Gemeinde hin zu öffnen. Wir haben mit der Friedensgemeinde eine Kooperation im Sport, die kleinen Kinder sind hier bei uns in der Halle, die Friedensgemeinde nutzt unser Gelände. Wir haben mit den Vereinen zu tun und wir haben jetzt auch das Angebot gemacht, dass, wenn Räume fehlen, wir eine Intensivklasse hier beherbergen können. Auch mit der IGS Kelsterbach gibt es im Bereich der Berufsorientierung und im Sport Kooperationen. Die Öffnung der Schule sollte man weiter nach vorne treiben, um zu zeigen, dass hier ein Ort ist, wo ein besonderes Lernen stattfinden kann, dass hier Pädagogen sind, die die fachliche Qualifikation haben. Und das muss man unabhängiger machen von den strengen formalen Regeln einer Förderschule für Lernhilfe. Vielleicht eher als ein Zentrum für Lernen, eher in eine solche Richtung muss die Entwicklung gehen.
Die Stadt Kelsterbach ist der kleinste Schulträger in Hessen, wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der Stadt erlebt, was zeichnet die Stadt als Schulträger aus?
Ich muss ehrlich sagen, das war eine der größten positiven Überraschungen. Ich habe hier von Anfang an das Gefühl, dass diese Schule vom Schulträger – in Person des Bürgermeisters, aber auch von den Mitarbeitern und Kollegen der Schulverwaltung – genauso ernstgenommen und berücksichtigt und wertgeschätzt wird wie alle anderen Schulen, für die der Schulträger zuständig ist. Wir führen zum Teil Projekte durch, die finanzieller Unterstützung bedürfen und die sich deutlich unterscheiden von dem, was eine Gesamtschule oder eine Grundschule macht. Und da war immer die Möglichkeit, das vorzustellen, es war Interesse da, und wir sind sehr, sehr gut unterstützt worden. Das ist die eine Seite, das Zweite ist – und das ist mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger: Herr Ockel als Chef der Behörde und Bürgermeister hat hier kaum eine Veranstaltung, die wir hatten, ausgelassen. Er war immer vor Ort, hat Worte an die Eltern gerichtet, an die Schüler, an das Kollegium, die deutlich gemacht haben, wir sehen Euch, wir wissen, dass hier gute Arbeit geleistet wird, und wir unterstützen Euch. Genauso, wie wir stolz sind auf die Gesamtschule, sind wir stolz auf unsere Förderschule. Es hat gutgetan, das Gefühl zu haben, die Kinder, die hierher gehen, die Familien werden gesehen, die Kollegen werden gesehen, die Schulleitung wird unterstützt und gefördert. Wir waren uns nicht immer in allen Dingen einig, aber wir konnten immer über alles reden und haben immer Wege gefunden, dass es hier vorangeht. Die Einstellung des Schulträgers hat eine sehr positive Wirkung auf alle, auf die ganze Schulgemeinde.
Eins ist mir noch wichtig zu sagen: Hier ist ein Team von Lehrkräften vorhanden, die sich den ganz schwierigen Schülern stellen und ihre Kompetenz erweitert haben. Die Kollegen sind bereit, sich das Fachliche auch über Fortbildungen anzueignen. Wenn man zum Beispiel ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störung unterrichtet und so etwas vorher noch nie hatte, dann muss man sich damit auseinandersetzen. Da ist eine große Offenheit vom Kollegium hier, das finde ich sehr wichtig. Sie sind auch dafür offen, in die Inklusion, an eine andere Schule zu gehen und dort ihren Job zu machen. Am Anfang war das nicht so, das ist eine große Veränderung gewesen, dieses Umsteuern. Es war nicht einfach für die berufliche Identifikation eines Förderschullehrers zu sagen, ich bleibe nicht mehr an einer Förderschule, sondern gehe jetzt woanders hin. Aber das haben wir auch geschafft, mittlerweile ist die Bereitschaft groß, sich auch diesen Aufgaben zu stellen.