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Auf den Tag genau ein Jahr ist es heute, am Freitag, 24. Februar, her, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seine Armee ins Nachbarland Ukraine hat einmarschieren lassen. Hunderttausende Tote und Verwundete, mehr als acht Millionen aus der Ukraine in andere europäische Länder Geflüchtete sowie kaum zu beziffernde Sachschäden sind das bisherige Resultat der russischen Aggression. Auch in Kelsterbach sind vor dem Krieg fliehende Menschen aus der Ukraine an- und untergekommen. Die Stadtverwaltung, der Kreis Groß-Gerau sowie Kelsterbacher Organisationen, Firmen und Privatleute kümmern sich seither um die hierher Geflüchteten, sorgen dafür, dass sie mit allem Nötigen versorgt sind, und ermöglichen ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Knapp drei Wochen nach Kriegsbeginn sind die ersten Flüchtlinge in Kelsterbach eingetroffen. Eine besondere Herausforderung stellte sich der Stadt, als am 25. März 2022 eine auf Vermittlung der Aktion Mensch aus Kiew evakuierte, rund 120 Köpfe zählende Gruppe mit behinderten Kindern in der Untermainstadt eintraf. Sie wurden vorerst im ehemaligen Mercure-Hotel untergebracht. In den folgenden Wochen kamen weitere Ukrainer nach Kelsterbach, so dass die Zahl der Flüchtlinge auf 250 Menschen anstieg. Dringlichste Aufgabe war es zunächst, ein Dach über dem Kopf für die hier ankommenden Menschen zu finden und sie in geeigneten Quartieren unterzubringen. Dank der Hilfsbereitschaft örtlicher Hotels, Pensionen und vieler Privatpersonen ist das gut gelungen und es musste niemand in provisorischen Notunterkünften, wie etwa Sporthallen, untergebracht werden.
Um staatliche Unterstützung und Zugang zum Gesundheitssystem zu erhalten, mussten die Geflüchteten erst einmal amtlich registriert werden. Das erwies sich als kein ganz einfacher Vorgang, denn die in der Ukraine ausgestellten Geburtsurkunden, Pässe und andere wichtige Dokumente sind allesamt in kyrillischer Schrift abgefasst, die von den hiesigen Behörden nicht ohne Weiteres gelesen werden kann. Vonnöten waren qualifizierte Übersetzungen, die einiges Geld kosteten.
Doch mit einer Unterkunft und genügend Geld zum Leben war es noch lange nicht getan. Die aus der Ukraine Geflüchteten benötigten weiterhin vielerlei Informationen darüber, wie das Leben in Deutschland organisiert ist, und sie brauchten an der einen oder anderen Stelle auch praktische Hilfestellung. Die Stadtverwaltung kümmerte sich federführend um die Vernetzung und Koordination der Hilfsorganisationen sowie der Helferinnen und Helfer. Neben der Verwaltung bemühten sich unter anderem die Veritas-Ambulanz, die Caritas, die Diakonie, die Kirchengemeinden, das Haus Weingarten, der Verein Kleeblatt, das Deutsche Rote Kreuz mit seiner Kleiderkammer, die Tafel und viele Ehrenamtliche um die Hilfesuchenden – und tun dies noch heute.
Zahlreiche Kelsterbacherinnen und Kelsterbacher haben sich solidarisch gezeigt und Sachspenden für die Geflüchteten abgegeben. Ein Aufruf von Bürgermeister Manfred Ockel, Waschmaschinen, Trockner und Stausauger zu spenden, traf in der Bevölkerung prompt auf eine sehr gute Resonanz, so dass schnell genügend dieser Geräte zusammenkamen. Was die Ukrainerinnen und Ukrainer an Kleidung, Schuhen und sonstiger alltäglicher Ausstattung brauchten, bekamen sie in der Kleiderkammer des DRK. Fahrräder aus den Fundbeständen des Ordnungsamtes sowie gespendete Räder haben die „Martinsschrauber“ der St.-Martinsgemeinde mit finanzieller Unterstützung der Stadt wieder in Schuss gebracht und an die Flüchtlinge abgegeben.
Um den Geflüchteten bestmöglich zu helfen, hat die Stadt Kelsterbach im Frühjahr 2022 zwei weitere Betreuerinnen und einen Betreuer als städtische Arbeitskräfte eingestellt. Kevser Sempek und Larisa Liefke unterstützen nach wie vor die städtische Sozialkoordinatorin Agneta Becker bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.
Den Ukrainerinnen und Ukrainern zu ermöglichen, sich rasch Kenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, war eines der vorrangig verfolgten Ziele der Flüchtlingshilfe. Schon im April wurden die ersten Deutschkurse eingerichtet. Um die gesundheitliche Versorgung kümmert sich nicht zuletzt Dr. Snezana Matijevic, die in ihrer Praxis seit Sommer vergangenen Jahres wöchentlich eine Sprechstunde speziell für Ukraineflüchtlinge anbietet.
Mitte Juni 2022 musste die im Mercure-Hotel untergebrachte Gruppe die Unterkunft räumen, sie zog um in das in der Waldstraße gelegene Step-Inn, das vom Kreis Groß-Gerau angemietet und von der Stadt zum Ukrainezentrum, das heißt zum zentralen Anlaufpunkt für Ukrainer in Kelsterbach, gemacht wurde. Die Pächter des Stepp-Inn hatten vor Bezug der Unterkunft durch die Geflüchteten das Gebäude renoviert und für eine Grundausstattung der Zimmer gesorgt. Die zusätzlichen Möbel hatte die Stadt Kelsterbach mittels Spenden akquiriert. Im Haus gibt es ein großes Spielzimmer für Kinder, außerdem auf jeder Etage eine eigene Küche. Letzteres ist sehr wichtig, denn die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung bereiten sich ihre Mahlzeiten ausschließlich selbst zu. Was dank eines großen Maßes an Selbstorganisation und Disziplin reibungslos klappt.
Wie ihre geflüchteten Landsleute in Kelsterbach untergebracht sind, davon machten sich der ukrainische Generalkonsul Vadym Kostiuk im Juli 2022 und Präsidentengattin Olena Selenska im Oktober 2022 einen Eindruck, als sie die im Step-Inn untergebrachten Menschen besuchten.
Die Gruppe, die vom Mercure-Hotel ins Stepp-Inn umzog, war zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich auf rund 90 Personen geschrumpft. Einige waren wieder zurück in die Ukraine gegangen, andere hatten für ihre schwerbehinderten Kinder andernorts passende medizinische Hilfe gefunden. Von ursprünglich 38 Kindern mit Handicap leben aktuell noch dreizehn mit ihren Familien in Kelsterbach. Alle diese Kinder haben mittlerweile den für sie richtigen Facharzt gefunden und wurden von einer Stiftung mit passenden Rollstühlen und Orthesen ausgestattet. Außerdem werden sie nun sukzessive mit Teilhabeassistenten versorgt und können dann geeignete Schulen besuchen.
Mit Beginn des neuen Schul- und Kindergartenjahrs im vergangenen September kamen auch die ukrainischen Kinder in die Kelsterbacher Schulen und Kitas. In der Folge hat sich gezeigt, dass einige ukrainische Kinder offenbar an Traumatisierungen leiden, denn sie treten teils aggressiv und zerstörerisch auf. Deswegen sind Psychologen eingeschaltet worden, um den Müttern und Kindern zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten.
Die Geflüchteten sind in Deutschland zwar keiner Lebensgefahr mehr ausgesetzt, müssen aber unterschiedliche Herausforderungen meistern, etwa eine Fremdsprache lernen oder mit psychischen Belastungen umgehen, zum Beispiel mit Heimweh oder dem Vermissen der zurückgelassenen Angehörigen beziehungsweise der Sorge um sie.
Aktuell leben in Kelsterbach 212 Ukrainerinnen und Ukrainer – darunter 127 Erwachsene und 85 Kinder – in 110 Familien. 65 Familien sind in den drei Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, 34 Familien wohnen in vom Landkreis angemieteten privaten Wohnungen und elf Familien haben eine eigene Wohnung gemietet. Einen Arbeitsplatz hat bislang noch niemand gefunden, denn die Anerkennung der ukrainischen Ausbildungsnachweise und Zeugnisse in Deutschland erweist sich aufgrund unterschiedlicher Standards als sehr schwierig.
Rund 50 ukrainische Familien sind bei der Kelsterbacher Tafel registriert und erhalten dort günstig Lebensmittel. Mit dem Zuzug der ukrainischen Flüchtlinge hat sich die Kundschaft der Tafel verdoppelt. Derzeit können keine neuen Berechtigungskarten mehr ausgegeben werden, weil die Lebensmittelspenden von Supermärkten rückläufig sind und die Tafel nicht mehr genug Ware für alle Bedürftigen verfügbar hat.
Etwa ein Drittel der in Kelsterbach lebenden ukrainischen Familien möchte dauerhaft hierbleiben, die übrigen wollen zurück, um ihr Land wieder mitaufzubauen. Es zeigt sich allerdings, dass die Perspektiven für einen zügigen Wiederaufbau umso schwieriger werden, je länger der Krieg dauert und je mehr durch russischen Beschuss zerstört wird. Die Familien, die gerne zurück möchten, befinden sich im Ungewissen – nicht richtig hier und auch nicht dort, zerrissen zwischen zwei Welten, Kulturen, Schulsystemen. (wö)
Mehr zum Thema finden Sie in Kelsterbach Aktuell 08/2023, zum Beispiel Interviews mit nach Kelsterbach Geflüchteten sowie mit Bürgermeister Manfrend Ockel.